61 Ibiza II / 26.7.1972
Gouache, 56,3 x 28,5 cm, 1972
P14/1972
Acryl auf Leinwand, 100 x 80 cm, 1972
P1/1971
Acryl auf Leinwand, 75 x 60 cm, 1971
P15/1985
Mischtechnik auf Holz, 88 x 88 cm, 1985
P13/1985
Mischtechnik auf Holz, 88 x 88 cm, 1985
P18/1982
Acryl auf Leinwand, 60 x 50 cm, 1982
P30/1982
Acryl auf Leinwand, 100 x 80 cm, 1982
P19/1982
Acryl auf Leinwand, 60 x 50 cm, 1982
1956, Teneriffa, Farbstift auf Papier, 17 x 24 cm, Skizzenbuch
1956, Teneriffa, Farbstift auf Papier, 17 x 24 cm, Skizzenbuch
80 Ibiza / Siesta - 11.10.1980
Farbstift und Acryl auf Papier, 29,5 x 21 cm, 1980
85 Villa Romana / Florenz 1976
Tusche und Acryl auf Papier, 76 x 55,5 cm, 1976
48 Villa Romana / Florenz 1976 (Serie Rosticceria (13) )
Tusche und Acyrl auf beschriebenem Papier, 70 x 50 cm, 1976
75 "2. Rosticceria" 8 - Villa Romana / Florenz 1976
Tusche und Acryl auf beschriebenem Papier, 65,5 x 44 cm, 1976
57 Atelier - Ostercappeln / Dez. 1975
Tusche und Acryl auf Japanpapier, 62,5 x 49,3 cm, 1975
33 Atelier - Ostercappeln / Sept. 1976 (Jazz)
Tusche auf Japanpapier, 79 x 59,5 cm, 1976
44 Atelier - Ostercappeln / Sept.1976 (Jazz)
Tusche auf Papier, 66,5 x 48,5 cm, 1976
47 Atelier - Ostercappeln / Okt. 1976 (Jazz)
Tusche auf Papier, 66,5 x 48,5 cm, 1976
62 Atelier - Ostercappeln / Dez.1975
Tusche und Acryl auf Japanpapier, 62,5 x 49,3 cm, 1975
78 Ibiza III [4.3.1972]
Tusche und Acryl auf Papier, 52,5 X 42 cm, 1972
75 Ibiza II, 1.8.1972
Tusche und Acryl auf Papier, 65 x 50,2 cm, 1972
T.Z. 168
Tusche auf Papier, 59 x 42 cm, 1964
Nr. 84
Tusche auf Papier, 42 x 30 cm, 1963
TZ / Nr. 28 / Jan. 1965
Tusche auf Papier, 62,5 x 45 cm, 1965
Nr. 41
Tusche auf Papier, 36 x 48 cm, 1962
98
Tusche auf Papier, 62,4 x 59,5 cm, 1961
13/sZ 3/1962
Tusche auf Papier, 49,5 x 45 cm, 1962
Vorwort:
Seit vielen Jahren bestand der Plan, endlich einmal die Arbeiten Rudolf Englerts im Museum seiner Geburtsstadt vorzustellen, nachdem diese auf Ausstellungen des In- und Auslandes häufiger zu sehen waren. Äußere Umstände verhinderten bis heute immer wieder die Verwirklichung. Nunmehr ist es möglich, einen querschnittartigen Überblick aus dem in vier Jahrzehnten entstandenen malerischen und grafischen CEuvre zusammen mit den neuen Plexiglas-Objekten zu vermitteln.
Die akzentuierte Auswahl konnte nur durch das großzügige Entgegenkommen vieler Leihgeber erreicht werden, für das ich besonders danken möchte. Herzlicher Dank geht vor allem an den Künstler selbst, der das Vorhaben in jeder Hinsicht intensiv unterstützte, sowie an meine Mitarbeiterin Frau Dr. Poley, die die Durchführung übernommen hat.
Der Katalog wurde uns dankenswerterweise vom Städt. Museum Göttingen zur Verfügung gestellt und kann daher nicht in allen Einzelheiten dem Inhalt der Ausstellung entsprechen.
In den fünfziger Jahren hatte Rudolf Englert - nach Phasen gegenständlicher und konstruktiver Malerei - seinen eigenen unverwechselbar individuellen Stil gefunden. Ohne jedes Zugeständnis an modische Trends hat er ihn über Jahrzehnte mit außerordentlicher Konsequenz durchgehalten. Gleichzeitig und dennoch unabhängig von den bildnerischen Innovationen eines Mack, Piene und Uecker, der Gruppe »Zero« in Düsseldorf, schuf er serielle Bilder und Objekte, deren weiße und schwarze Reliefstrukturen hohe haptische und optische Qualitäten aufweisen (zum Beispiel in den Bildern M 3, M 4 und M 68, alle 1962 entstanden). Gelegentlich-und darin unterscheidet er sich wiederum von den »Zero«-Künstlern - stufte er die Flächen farbig subtil ab. Außerdem experimentierte er mit konkreten Objekten - sogenannten Nagel- und Käfigbildern (M 8 und M 77, 1960/ 61) -, die taktile Tastwerte ansprachen, während in anderen Bildern serielle Ordnungen aus punktuellen Durchbrechungen, also Löchern hergestellt wurden. In späteren Wer-ken wurden die Punkte plastisch erhaben reliefiert oder zu Folgen von Daumenabdrücken. Ebenso exakte wie unexakte Mikro-Strukturen schoben sich gelegentlich zu figurativen Reminiszenzen zusammen, die durch Schnüre verspannt wurden.
Das Kontinuum vibrierender Flächen, die sich aus gleichartigen und trotzdem unter-schiedlichen Detailgesten verwirklichen, boten die Ausgangspunkte für Englerts ge-schriebene Bilder seit den sechziger Jahren. In vielen Schichten schreibt der Künstler unverständliche Buchstaben und Zeilen übereinander, deren rhythmischer und transparenter Zusammenhang eine schwerelose Einheit von schwingenden Zeichen und atmosphärischem Bildraum suggerieren.
Es ist logisch, daß er nun zu einem durchsichtigen Medium, nämlich Kunstharz und Plexiglas, fand. Auf Tafeln und Kuben visualisiert er verschlüsselte Zeichen, die im Immateriellen des Lichtes aufgehen und dennoch existent bleiben - Licht-Raum-Grafik könnte man sie bezeichnen. Die in den letzten Jahren entstandenen großformatigen Schriftbilder wirken wie eine Essenz der reichen Erfahrung des Malers. Es sind pure visuelle Informationen, die nichts mehr als sich selbst vermitteln und insoweit esoterisch bleiben. Sie bringen ästhetische Positionen ins Spiel, in de-nen Farbe und Bewegung harmonisiert sind, um Kontemplation hervorzurufen.
Siegfried Salzmann
Das Kulturgeschichtliche Museum Osnabrück hat schon einmal in einer Einzelausstellung eine Übersicht über das Werk von Rudolf Englert gegeben. In dem seither verflossenen Zeitraum ist nicht nur eine sehr große Fülle neuer Arbeiten entstanden, sondern Englert hat auch - sicherlich angeregt durch die Eindrücke, die er bei einem längeren Studienaufenthalt in den USA und auf einigen großen Reisen empfangen hat - neue Techniken entwickelt, neue Materialien zur Verwirklichung seiner Bildideen eingesetzt.
Es mag auf den ersten Blick absurd erscheinen, daß die Werke eines Künstlers, der in völliger Abstraktion versucht, das nicht Greifbare, nicht Faßbare, nicht Sagbare, das nur Erspürbare auszudrücken - so ähnlich hat er es selbst formuliert - das Erlebnis von Landschaft widerspiegelt. Aber vor allem in den Bildern aus Amerika und Ibiza wird das sehr deutlich. Englert hat bereits früher räumliche Komponenten in seine Arbeiten aufgenommen.
Das war sowohl bei den Drahtbildern wie bei den Lochbildern der Fall. Bei den hier erstmals ausge-stellten Gießharzobjekten ist ihm die Verbindung seiner speziellen Mal- und Zeichenart mit räumlicher Anordnung in glücklicher und überzeugender Weise gelungen. Aus einem Schaffenszeitraum von zwölf Jahren stammt die Auswahl, die hier vorgeführt wird.
Daß einige kleinere Gruppen dabei ausgelassen wurden, entspricht dem Willen des Künstlers, dem es darauf ankam, ein gültiges Bild der Leistung und Entwicklung bis zum heutigen Tage zu demonstrieren. Der Versuch, die fruchtbare Kontinuität nachzuweisen, rangierte dabei vor dem Wunsch, auch alle Nebenwege mit darzustellen.
Der vorliegende Katalog ist der zweite in einer neuen Reihe des Kulturgeschichtlichen Museums Osnabrück, die mit der Ausstellung der Grafiken von Diether Kressel begann. Wie bei jener Ausstellung hat auch hier das Museum dem Künstler sehr herzlich für seine Zustimmung und Mitarbeit zu danken, die es ermöglichten, eine limitierte Sonderausgabe des Kata-loges mit einer Farbradierung herauszubringen. Dank sei an dieser Stelle auch allen Leihgebern gesagt, die durch die Hergabe von Bildern und Objekten zum Gelingen der Ausstellung beitrugen; sie hier einzeln aufzuführen, ist nicht möglich, ihre Namen erscheinen im Katalog bei den einzelnen Werken. Die Fotografen, die Klischeeanstalt und die Druckerei haben mit großer Mühe und Sorgfalt dazu beigetragen, daß die oft sehr schwierig zu erfassenden Arbeiten in optimaler Weise aufgenommen und wiedergegeben wurden, auch ihnen sei an dieser Stelle gedankt.
Manfred Mein
Kann ich schreiben, was ich male?
Weiß ich, was ich tue, wenn ich male?
ICH MALE!
Ich kann nicht schreiben, was ich male!"
Rudolf Englert, 1967
Vorwort
Rudolf Englert, 1921 geboren, hatte seine künstlerische Ausbildung schon abgeschlossen — er studierte von 1941 bis 1943 an der Kunstakademie in Düsseldorf —, als er sich zu einem zweiten Studium entschloss und ab 1952 für vier Jahre die Folkwang-Werkkunstschule in Essen besuchte. Das sollte sich für den Fortgang seiner Arbeit als fruchtbar erweisen.
Nach in der Malerei vorangetriebenen Vorarbeiten in den späteren fünfziger Jahren entstanden ab 1961 über die nächsten Jahre umfangreiche innovative Werkzyklen auf Papier, mit sparsamsten Mitteln ausgeführte Zeichnungen von großer Gestaltfreiheit. Die Kritik wurde auf Englert aufmerksam und betonte die Eigenständigkeit und Entschiedenheit seines Ansatzes.
In zahlreichen Ausstellungen wurden die Arbeiten vorgestellt, und die siebziger Jahre bestätigten die Entwicklung durch weitere Museumsausstellungen und anspruchsvolle Projekte.
Rudolf Englert schuf in dieser Zeit, auf den sechziger Jahren aufbauend, eindrucksvolle Folgen, deren vorherrschender Eindruck nun häufig der des Schriftähnlichen war, wie sich Anklänge an musikalische Notationen fanden. Die Arbeiten bestanden vorrangig aus unzähligen, einer inneren Ordnung gehorchenden Graphismen, zeilenartigen Abfolgen, Linienverläufen.
Durchgehend verzichten sie in ihrer ausgeprägt graphischen, konzentrierten Anlage auf jede expressive Gebärde; dagegen können auf unterschiedlichen Wegen räumliche Fragen berührt sein. Alle Spannung ist nach innen gelegt, das Bild wird zu einem vibrierenden Feld. Die Idee eines Prozessverlaufs ergibt sich allein reflexartig aus der Vorstellung eines gestaltenden Vollzugs und dem Charakter des irgendwie Schriftartigen, ohne dass dem tatsächlich ein Bewegungszug entspräche. Bezeichnungen und Äußerungen des Künstlers zum Schreiben, die im übrigen ambivalent sein können, bestätigen das Anschauliche. Es ließe sich umgekehrt sagen, dass hier nichts weniger als ein Schreiben und Geschriebenes vorlag, geradezu eine Gegenposition zu allem Handschriftlichen.
Nebenbei wurde auf diesem Wege die Annahme eines automatischen Schreibens unterlaufen. Das gilt entsprechend für ein vermeintliches Leseverhalten — ad absurdum geführt ausgerechnet in dem Moment, in dem die gängige Metaphorik des Lesens eines Bildes schlagende Evidenz erlangt zu haben schien.
Grundsätzlich gesehen und Schrift im Bild einmal außer acht gelassen: Ernst Ludwig Kirchners Zeichnungen können als Schrift, als Niederschrift aufgefasst werden, man erkannte sogar im Schriftbild von Kirchners Handschrift und Zeichnung große Ähnlichkeit. In dessen Zeichnungen finden sich durchgehend die wesentlichen Eigenschaften dieses Mediums: das Skizzenhafte und Andeutende, die Verknappung, Abstraktion im Dienst der Zeichenfunktion. Und noch die so häufigen demonstrativen, sich einer Bedeutung verweigernden in die Malerei übertragenen Schriftgesten seit den fünfziger Jahren haben Signalcharakter.
Englert dagegen verweist zunächst auf nichts, auf Schrift selbst allenfalls, um ihre Funktionslosigkeit als abstraktes System vor allen Inhalten vorzuführen. Entscheidender ist, wie er mit seinem vermeintlich (schreibend) die bildliche Autonomie in Frage stellendes Vorgehen im Gegenteil auf seinem ureigenen Feld die Erkundungen des Zeichnerischen vorantrieb. Er ging der Möglichkeit nach, seine Spielräume auszuweiten und mit dem erarbeiteten Instrumentarium auf nichtgegenständlichem Wege sich neue Gestaltformen, Weisen der Bildorganisation und Ausdruckspotentiale zu erschließen. Er betonte mit dieser so elaborierten Schriftnähe, mit diesem ganzen Verfahren doch nichts anderes als die Eigengesetzlichkeit der Zeichnung.
Man fühlt sich an Mallarme erinnert, der von dem Eigenwert und der Klanggestalt der Wörter sprach, von ihrer Befreiung von zweckhaften Inhalten und eine enge Verbindung von der Sprache zur Musik knüpfte, wie Englert eine solche von der Zeichnung aus.
Und nicht nur der sinnliche Reiz, der reine Klang gehen bei Englerts Zeichnungen nie verloren, er konnte auch seine vordergründig so verhaltenen, der Fläche verpflichteten zeichnerischen Mittel der Realität dienstbar machen: So fängt er in den Ibiza-Blättern von 1980, die zu den letzten Zyklen gehören, auf beschränktem Raum ohne atmosphärische Zugeständnisse, in symbolhafter Verknappung Licht und Farbe des Südens ein. Damit ist eine Brücke zurück zu den schönen Reiseskizzen der fünfziger Jahre geschlagen.
Diese wiesen ihrerseits bei all ihrer Lichthaltigkeit und farbigen Gegenständlichkeit, in der flächigen Verspannung und der strukturhaften, formalen Klarheit, schon auf das eigentliche, kommende Werk voraus.
Seit den achtziger Jahren geriet Rudolf Englert, er starb 1989, etwas aus dem Blick der Öffentlichkeit. Die Gründe sind vielfältiger Natur, es ist ihnen hier nicht nachzugehen. Die Bedeutung Englerts wurde wieder 2005 durch die Retrospektive in Osnabrück ins Bewusstsein gehoben. Der vorliegende Katalog ist dem zeichnerischen Werk gewidmet, das das Zentrum von Englerts Kunst darstellt. Es wird hier zum ersten Mal umfassend vorgestellt. Hierfür war einiges an Aufwand nötig, vieles war zu klären zur Auswahl, Dokumentation, Einordnung.
Bazon Brock meinte bei seiner Ansprache zur Eröffnung der Osnabrücker Ausstellung zu Rudolf Englert, es mache wieder Spaß, einen Nachlass zu hinterlassen. — Das vielleicht auch, es ist aber doch vor allem eine Verpflichtung.
Ganz herzlich möchte ich mich bei Hildegard Englert für die Gastfreundschaft und das entgegengebrachte Vertrauen bedanken und für die Möglichkeit, frei aus dem Bestand an Zeichnungen auswählen und damit arbeiten zu dürfen. Dieser Dank gilt ebenso Kirsten Rolf für ihre Hilfe, auch auf Grund ihrer Werkkenntnis, bei der Erstellung des Kataloges sowie der Einleitung. Auch Marie-Luise Schnackenburg möchte ich meinen Dank aussprechen, sie ebnete mir den Zugang zu dem Werk Englerts und unterstützte in vielfältiger Wei-se den Fortgang des Projekts. Ein herzlicher Dank schließlich gilt Erich Franz für seinen Textbeitrag.
Peter Dittmar
Mit dem stumpfen Pinselende, mit dem Spachtel, mit dem Stift stets geführt durch seine rechte Hand ,lichtet' Rudolf Englert die Materie der in vielfältigen Sequenzen aufgetragenen Malmittel, der Farben und Lasuren, mit denen er zuvor die Bildfläche Schicht um Schicht verdichtet hat.
Dort: Pastos - direkt aus der Tube auf das breite Malinstrument gedrückt und in übereinander und nebeneinander geschichteten Schwüngen schweben die bekannten Schlaufen über die Bildfläche. Sie bilden Reliefs, auf denen sich das Licht bricht. Verdrängen und überlagern die leichten Spuren unter ihnen.
Ins Bild genommenes Strandgut erhöht manche Malerei zum Objekt. Stets: So an Farb-Fülle reich, erscheinen seine Kompositionen leicht und von großer Transparenz. Englert schreibt sich dem Bild ein. Er eröffnet dem Betrachter den Raum. Die Weite wird sichtbar und bewusst. Konzentriert und abstrahierte Naturein-drücke des Mediterranen erscheinen. Das Licht findet seine Bahnen bis tief nach unten durch Schichten und Farben gebrochen und aufgehalten und muss den Spuren des Künstlers folgen.
Kirsten Rolf, Stiftungsrat Rudolf-Englert-Stiftung, Ostercappeln
Malerei war für Rudolf Englert bis 1965 im wesentlichen eine Auseinandersetzung mit den Bildelementen Struktur und Material, eingebettet in ein äußerst sensibles Farbempfinden. So verschieden die Ergebnisse in zehn Jahren auch ausgefallen sind — konstruktive Farbkompositionen, strukturelle und real-räumliche Draht- und Nagelbilder, skripturale Zeichnungen, seriell strukturierte Weißbilder, farbige Mono-typien und Tafelbilder mit neuen Formen und Figurationen —, so eng hängen sie innerlich zusammen.
Sie besitzen eine immanente, intellektuell aufschlüsselbare Folgerichtigkeit, und Ihr zeitliches Nacheinander zeigt Konsequenz. Und sie weisen eine für Rudolf Englert wesenhafte Sensibilität auf, die sich im intuitiven Umgang mit den Bildmitteln wie in der Strenge der Komposition äußert.
Die als neue Werkphase erkennbare Bildreihe, die die Ausstellung beherrscht, wurde seit 1965 gemalt. Sie basiert auf den Erfahrungen der früheren Arbeiten, weist jedoch sehr wichtige inhaltliche und formale Erweiterungen auf, durch die die Bilder an Aktualität und Bedeutung gewonnen haben. Ihr Fundament ist eine intensive Farbigkeit mit einer Fülle feinster Nuancierungen. Auch dort, wo die Farben nun aus hellen in dunkle Bereiche hinüberpendeln, entsteht reine Peinture.
Englerts Können beweist sich Im Setzen subtiler Farbspuren wie größerer Flächen, die beide stets auf den vollen Klang des Bildes gestimmt sind. Die Farbigkeit ist transparent. Sie öffnet einen weiten Bildraum. In ihm konkretisiert sich in Struktur-verdichtung und neuen Farbstufen die Figuration. Zuweilen — jedoch nie in platter Eindeutigkeit — wird ihr Umriß, der eine Gefäßform oder — assoziativ — eine menschliche Gestalt zu umschließen scheint, von Farblinien betont. Diese Figur ist langsam gewachsen; sie wurde vorher in den Monotypien am klar-sten entwickelt und wird gegenwärtig in den Radierungen immer neuen Variationsexperimenten unter-zogen.
In den jüngsten Bildern deuten sich Veränderungen an: Die dem Wesentlichen dienende symmetrische Einfachheit wird durch Randformen gestört, und die Figurationen können Binnenformen erhalten, die sich manchmal sogar verselbständigen. Neue kompositorische Gedanken tauchen auf, die kaum etwas mit dem schon lange in den Figuren aktiven, reizvollen Farbspiel zu tun haben, weil dieses nicht zur Form verfestigt wurde. Jetzt heben Linien die neue Innenform hervor. Aber beide geben der Figuration entweder malerischen Raum oder Volumen. Keinesfalls wirkt sie flach. Auch Collage-Stücke betonen die Bildräumlichkeit, unabhängig davon, ob sie selbst Gegenstände zeigen oder Unerkennbares. Ihr Farbwert und ihre andersartige Form öffnen Tore in die Tiefe. Dieser malerische Gewinn, der die neuen Bilder deutlich von älteren unterscheidet, erfährt zunächst seine ganz konkrete Bestätigung durch die pastose Struktur, die wie schon in früheren Arbeiten in serieller Ordnung die figurativen Teile der Bildfläche rhythmisiert.
Dazu ist jedes einzelne der tastbaren kleinen Elemente mehrfacher Farbträger. Alle zusammen bewirken damit die Vielschichtigkeit des Kolorits. Dann wird das Raumproblem aber noch konkreter angegangen: Der Maler durchbricht die Haut des Bildes, sticht Löcher in die Fläche. Diese sind keine Strukturteile, sondern — weil isoliert und mit Bedacht geschaffen — Schwerpunkte der Komposition.
Englert gewinnt mit ihnen faktische Dreidimensionalität. Der bisher nur vorgestellte Bildraum wird real. Damit wird eine Reminiszenz aufgenommen, denn die früheren Draht- und Nagelbilder besaßen schon — obwohl bildhaft gesehen — einen realen Raum. Doch auch die Löcher haben malerische Wirkung: Sie sind besonders betonte dunkle Flecken — und zuweilen, wenn ihnen eine Farbe unterlegt worden ist, farbige Tupfer — In der Farbräumlichkeit des ganzen Bildes. Ihre Bedeutung wird noch unterstrichen, indem sie Ausgangs- und Eintrittsorte für die Kordeln darstellen, die vor der Bildfläche eine Verspannung bilden. Diese Kordeln, die ebenfalls nicht als Struktur gesehen werden dürfen, haben einen vielfältigen Sinn: Einmal erweitern sie genau wie die Löcher die Räumlich-keit des Bildes. Nur wird statt der Tiefe der Vordergrund in das Bildgeschehen einbezogen. Die Kordeln schaffen durch ein Linien- und Knotengefüge vor und auf der eigentlichen Fläche auch echte Dreidimensionalität. Ferner stehen diese Kordelstränge in funktionaler Beziehung zur Figuration: Sie schnüren sie ein, fesseln sie, fügen ihnen ein überraschendes Maß an Realität zu — die aber sofort verloren geht, sobald an Realität gedacht wird — und akzentuieren die Formen der Figur. Oder aber die Kordellinien lösen sich äußerlich von ihr, bilden selbst Formen und erhalten dadurch eine fast konkrete Zeichenhaftigkeit. Doch schließen sich beide Möglichkeiten nicht aus. Die Verspannungen dienen beiden Aufgaben. Natürlich sind sie nicht äußerlich aufgesetzt, sondern durch ihre malerische Wertigkeit im Bild integriert, so einmal durch ihre natürliche oder kolorierte Farbigkeit oder durch die Tonwerte, die ihr Schatten im Bildgefüge hervorruft.
Und hier entsteht sogar bei wandernder Lichtquelle eine leichte, aber reale Bewegung im Bild. Schließlich treten sie in ein Spannungsverhältnis zum reinen Schönheits-Reiz der Arbeit. Die feine Peinture könnte leicht zu einem geschmacksbestimmten Ästhetizismus verführen. Die Löcher, Kordeln und Knoten bewahren davor. Die Fülle der Funktionen, die diese drei Elemente im Bildganzen übernommen haben, beweist ihre Notwendigkeit. Sie verschafft der Arbeit ihren zeitgemäßen Rang. Die Materialbilder von Rudolf Englert, die in ihrer Ambivalenz zwischen Struktur und Farbe, Volumen und Fläche, Figur und Raum nur relativ, soweit das Faktische getroffen wird, beschreibbar sind, entziehen sich als Ausdruck eines künstlerischen Geistes jeder festlegenden Deutung wie jedes andere Kunstwerk auch. Denn es wird von der Intuition, der Emotion und der Intelligenz des Malers gleichermaßen ge-tragen und beinhaltet also subjektive Elemente, die unsprachlich sind.
Dennoch können Grundzüge erkannt werden, die das Wesen der Bilder treffen mögen: Die lange, Immer wieder durchdachte, selbst an schon ausgestellten Bildern wieder begonnene Bearbeitung führt eher zu stillen, zurückhaltenden Kompositionen als zu lauten, auf Effekte zielenden Bildern. Der Künstler gewinnt durch sie eine Folge von Arbeiten mit gleichhoher Qualität. Ihre Figuration, Zeichenhaftigkeit und Stille, aber auch ihre Empfindungswerte des Lyrischen und Musikalisch-Rhythmischen geben ihnen einen meditativen Zug, etwas Ikonenhaftes.
Jedes Werk, das im freien Spiel mit den Bildmitteln und in der strengen kompositionellen Ordnung des Malers Freiheitsempfinden und seinen Sinn für Gesetzmäßigkeit spie-gelt, strahlt die Aufforderung aus, sich in die Arbeit zu versenken, um ihren Reichtum in jener Einfach-heit zu entdecken, die einem Kunstwerk eigen ist. Rudolf Englert nimmt mit seinem Werk, weil er es Moderichtungen nicht unterworfen, sondern in eigen-williger Beharrlichkeit konsequent entwickelt hat, einen eigenständigen und bedeutungsvollen Platz im Kunstgeschehen unserer Zeit ein.
März 1967 Jürgen Weichardt
Begleittext:
Rudolf Englert lebt seit mehr als 20 Jahren im Osnabrücker Raum. Durch Ausstellungen, die das Kulturgeschichtliche Museum und das Kulturamt in den Jahren 1969, 1971, 1972 und 1981 veranstalteten, wurde die Osnabrücker Öffentlichkeit immer wieder über das konsequente und konti-nuierliche Fortschreiten der künstlerischen Entwicklung informiert.
Der 65. Geburtstag des Künstlers in diesem Jahre gibt Anlaß, nach längerer Pause wieder eine große Ausstellung in der Dominikanerkirche zu zeigen, die nicht einen Rückblick auf das Gesamtwerk geben, sondern die Entwicklung der letzten Jahre verdeutlichen will.
Im Mittelpunkt der außerordentlich variantenreichen flächigen und dreidimensionalen Darstellungen steht eine skripturale Form, die Rudolf Englert selbst „Schlaufe“ nennt, eine schwungvoll angesetzte und ausgeführte Linie, deren Enden sich überkreuzen. Diese Schlaufe, die als große Einzelform oder in unendlicher Reihung die Flächen der Leinwände, der Holz- und Plexiglasobjekte beherrscht, wurde in ersten Ansätzen in der Ausstellung des Jahres 1981 vorgestellt. Mit einer an Besessenheit grenzenden Energie hat Rudolf Englert unermüdlich Variationen dieses Themas vorgetragen, deren Fülle und Reichtum von einem Betrachter nur mit Erstaunen und Bewunderung zur Kenntnis genommen werden können.
ONE-ZERO-ZERO - Zahl? Code? Countdown?
Ganz bewusst spielt der Titel auf unterschiedliche Bedeutungsmöglichkeiten an: Offensichtlich ist der Bezug zur Zahl 100 - so alt wäre der Künstler Rudolf Englert 2021 geworden. ZERO bezeichnet jedoch nicht nur die Nullen in der Zahl 100. ZERO lautet auch der Name einer Künstlerbewegung, die ab Ende der 1950 Jahre nach einem neuen Anfang, einer "Stunde null" für künstlerisches Schaffen nach dem zweiten Weltkrieg suchte. In diesem Sinne steht ONE-ZERO-ZERO auch für das Anliegen, die Werke von Rudolf Englert zu seinem 100. Geburtstag neu zu betrachten.
Zu diesem Zweck werden Englerts Arbeiten in Zusammenhang mit Werken von Künstlerkollegen, darunter Heinz Mack, Otto Piene, Jan J.Schoonhoven und Günther Uecker, gebracht. Die Gegenüberstellung verdeutlicht das gemeinsame Interesse an experimentellem Arbeiten, an bestimmten Materialien und Techniken sowie an der Wirkung von Farbe, Licht und Schatten. Zugleich wird anschaulich, dass Rudolf Englert bei aller Verbindung zum zeitgenössischen Kunstgeschehen konsequent seinen individuellen künstlerischen Weg verfolgte.